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Kunst und Natur

Von Carrara nach Florenz

Aus: Grundgedanken der Selbsterziehung und ihre Anwendung in der pädagogischen Praxis von Karlutwig Hepp

Schon lange war es mein Traum, mit der mir anvertrauten Gruppe eine Fahrt zu unternehmen, bei der alles, was man so braucht, im Rucksack mitgetragen wird. Da ist vor allem ein wetterfests Zelt notwendig, das leicht aufgebaut werden kann, nich viel wiegt und nicht empfindlich ist gegen grobe Behandlung. Dazu braucht man eine Unterlagmatte, um gegen Bodenkälte geschützt zu sein, und einen warmen, nicht zu schweren Daunenschlafsack. Kochgeschirr ist vonnöten, natürlich das vollständige Essen für gut eine Woche und allerlei Utensilien: Müsli, Brot, Käse, Grütze, Tomatenmark, eine kleine 'eiserne Ration' an konzentrierten Fruchtschnitten, Teebeutel, Salz, Zucker, vielleicht noch ein paar Bonbons, Klopapier, etwas zum Lesen, Tagebuch, Kugelschreiber, Kompaß, Karten, ferner ein dicker Pullover, Regenumhang, Socken, Unterwäsche - und das alles wohl sortiert in einem großen Rucksack, der leider auch schon einiges wiegt. Die Größeren können nun selber schon packen; sie wissen auch bereits, was man so braucht. Die Kleineren sitzen auf dem Boden und können nicht glauben, daß das alles reingeht, aber in der Tat sind ja auch ihre Rucksäcke nicht so groß.

Wir wollen ins Marmorgebirge. Ach, wie der Klang dieses Namens in einem schon Träume wecken kann: kühler, edler Marmor - und dann gleich ein ganzes Gebirge! Michelangelo hat dort seine Steine selbst gebrochen. Er wollte einen ganzen Berg zu einem Kunstwerk umbilden; er hat in diesem bizarren Traum von Stein gelebt.

Vom Meer aus türmt sich das Gebirge bis in die Höhe der Wolken. Zuerst meinen wir, es seien Gletscher, so blendend weiß warfen die Gipfel das Sonnenlicht zurück. Der erste Anstieg nach Carrara geht auf gewundenen Wegen durch Eigenwälder, über knorzige Grate auf ein Hochplateau zu, von dem aus sich der Blick wie von einem Adlerhorst weit übers Ligurische Meer schwingt bis fast hin zur Insel Korsika. In mir erwacht in solchen Höhen jedesmal ein anderer Mensch. Wie aus tiefem Schlaf erwacht, reibt sich da ein neuer Mensch die Augen und atmet tief durch: Da unten in den Tälern leben die Menschen, das ist kaum zu glauben.

Hier oben glänzt der Sonnenschein wie durch Kristall hindurch: überall gigantische Steinbrüche, die das weiße Material dem Blick freilegen. Da und dort wird gesprengt und abgebaut. Lastwagen bringen die kostbare Fracht zu den Werkstätten der Stadt oder an die Bahn. Aber wir wollen weiter, tiefer hinein ins Gebirge, weiter weg von den Menschen im Tal. Wir wollen eine Weile ganz auf uns gestellt die Bergwelt erleben. Vom letzten Jahr kennen wir noch ein Plätzchen unter einer großen Wetterbuche, sogar mit Gras darunter und frischem Wasser in der Nähe.

Hei, wie da die Grütze mit dem Tomatenmark schmeckt! Holz für's Lagerfeuer gibt's genug. Schon blinken die ersten Sterne auf. Unten in Carrara und Massa entflammt das Lichtermeer. Wie schön warm ist jetzt der Schlafsack. Auf dem kleinen Kocher wird noch ein letzter Tee bereitet. Wir sind froh, den recht steilen Anstieg gut hinter und gebracht zu haben.

Meine Gedanken wandern schon weiter zu dem Tal, das wir Ostern bei der Vorbereitung entdeckt haben. Dort verläuft unser Pfad immer wieder quer durch einen ziemlich reißenden Gebirgsbach. Da gibt's gefährliche Stellen. Anette ist einmal mitsamt dem Rucksack in das eiskalte Wasser geplumpst. Ein Talstück ist überhaupt nur mit Seil zu bewältigen. Ich bin gespannt, wie die Gruppe damit fertig werden wird. Damals lag überall noch Schnee, und einige Pfade waren unpassierbar. Jetzt zu Pfingsten hat die heiße italienische Sonne alle winterlichen Überreste bereits hinweggeschmolzen. Am 3. Tag rasten wir an einem Bach in einem Kastanienwäldchen. Endlich können die Kinder baden, und im Dorf können wir Mozarella und frisches Brot einkaufen. Diese eine Ausnahme haben wir wohl verdient.

Die Rucksäcke werden, Gott sei Dank, von Tag zu Tag leichter. Jetzt heißt es aber, mit dem Proviant etwas vorsichtiger umzugehen. Am 5. Tag brechen wir schon früh um 4 Uhr auf, um vor Beginn der drückenden Mittagshitze einen 2000 m hohen Paß zu erreichen. Oben auf dem Gipfel singen wir ein Lied.

Im zweiten Teil unserer Reise fahren wir über Pisa nach Florenz, um uns dort vor Ort anzuschauen, wie die alten Meister die Natur zum Kunstwerk umgestaltet haben. Staunend und sogar etwas ehrfürchtig stehen wir nun vor dem berühmten David von Michelangelo. Es scheint uns ganz unglaublich, daß die Natur von Menschenhand so beeindruckend verwandelt werden kann. Und doch ist es auch wieder wie ein Aufatmen in der Seele: So etwas kann ein genialer Mensch also leisten, wenn er sich dazu ausbildet. In einem Museum sehen wir uns die letzten Arbeiten dieses Meisters an. Nur noch andeutungsweise hat er hier die Umrisse seiner Figur in den Stein eingemeißelt und damit die Spannung zwischen roher Natur und höchstem Kunstausdruck auf die Spitze getrieben. Durch solche Erlebnisse innerlich gestärkt, treten wir die Heimreise an.

(80er Jahre, verweht).

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